Forschung und Entwicklung

VFW614 - Der Bremer Jet

Nachdem die Produktion eingestellt wurde bot sich das Flugzeug für diverse Test neuer Technologien als Versuchsträger an. 

(Airbus Technology Demonstrator / Electronic Flight Control System)

Bei der DaimlerChrysler Aerospace Airbus GmbH im Werk Bremen stand 1997 die VFW 614 mit der Seriennummer G15. Sie flog ursprünglich drei Jahre lang für AIR ALSACE, wurde aber, als das VFW 614-Programm gestoppt wurde, vom Hersteller zurückgenommen. Nach vielen Jahren Standzeit auf dem Werksflugplatz Lemwerder wurde sie reaktiviert und wieder flugtauglich gemacht.

Anfang 1997 fand der Überführungsflug nach Bremen statt. Dort wurde nahezu die komplette Elektrik entfernt und neu installiert. Außerdem wurden umfangreiche Modifikationen im Bereich der Flugsteuerung durchgeführt, die Maschine wurde mit einem EFCS (Electronic Flight Control System) ausgerüstet. Zum Sommer wurde die Einrüstung der neuen Systeme abgeschlossen, nachdem schon zu Beginn des Frühjahrs Roll- und Triebwerkstests durchgeführt worden waren; der erfolgreiche Erstflug der ATD (Aerospace Technologies Demonstrator) getauften Maschine mit dem Kennzeichen D-ASAX fand am 13. August 1999 statt, und das Erprobungsprogramm begann im Herbst desselben Jahres.

Hier eine Aufstellung der Modifikationen:

  • Entfernung der Steuerhörner und aller anderen mechanischen Steuerelemente (Seile, Stangen etc.) außer der Trimmung und der Notsysteme zur Fahrwerksentriegelung.
  • Installation von Sidesticks und hydraulischen sowie erstmals elektromechanischen Antrieben für die Ansteuerung der Steuerflächen (Querruder, Höhenruder, Seitenruder, Spoiler).
  • Installation umfangreicher Meßinstrumente zur Messung von Beschleunigungen, Temperaturen, Drücken etc.
  • Installation von für Testflüge dieser Art notwendigen Einrichtungen wie z.B. Notausstieg.
In der Gesamtheit bedeuten diese Modifikationen, daß das Flugzeug eine komplette elektronische Flugsteuerung erhält, wie sie zum Beispiel auch bei den Airbus-Modellen A320/319/321/330/340 bereits Anwendung findet. Jedoch geht die DASA bei diesem Projekt noch weiter. So sollen z.B. die elektromechanisch angetriebenen Spoiler nicht mehr nur zum Bremsen nach der Landung, sondern auch aktiv bei der Flugsteuerung eingesetzt werden.

In vielen Details weicht das neue Flugkontrollsystem von den bereits eingesetzten ab, es stellt eine wesentliche Weiterentwicklung dar. Dazu gehören vor allem sogenannte „Smart Actuators“, schlaue Steuerantriebe also, die sich weitestgehend selbst kontrollieren und nur noch die vom Zentralrechner gewünschte Stellposition übermittelt bekommen, die sie dann selbsttätig einzustellen versuchen. (Nebenstehend ein Bild des neuen Cockpits der VFW 614 G15 ATD).

Die Forschung zielte unter anderem auf die Verwendung des neuen Flugkontrollsystems im geplanten Airbus A3XX ab. Bis dahin wäre aber noch ein weiter Weg zu bewältigen. Zunächst sollte der ATD mit seinem EFCS eine Verkehrszulassung erhalten, was nun jedoch gestoppt wurde. Das gesamte Projekt ATD wird vom Bundesforschungsministerium maßgeblich unterstützt. Es sind mehrere Firmen neben der DASA beteiligt, so z.B. liefert Liebherr die Elektromechanischen Antriebe (EMAs) für die Spoiler, BGT (Bodenseewerke Gerätetechnik) die PFCU (Primary Flight Control Unit).

1979/1980

Voruntersuchungen mit VFW (Basis VFW 614) und Dornier (Basis Gulstream II); die Untersuchungen bei Dornier berücksichtigten einige für das Shuttle-Trainingsflugzeug STA entwickelte Modifikationen.

1978

Etwa 1978 werden bei der DFVLR erste Überlegungen zu einem Ersatzmuster für den fliegenden Simulator HFB 320 S1 angestellt.

Oktober 1980

Vorstellung des Projektes ATTAS (BMFT-Statusseminar) durch das DFVLR-Vorstandsmitglied Prof. F. Thomas.

Ende 1981

Vertragsabschluss DFVLR – VFW/MBB für die Umrüstung der VFW G-17 zu einem Forschungsflugzeug und Fliegenden Simulator, sowie Ersatzteilausstattung für weitestgehend autonomen Betrieb nach Programmabbruch (umfassende Dokumentation, diverse Großbauteile, Triebwerke …). Wegen begrenzter Mittel musste die DFVLR umfangreiche Arbeitspakete selbst entwickeln und realisieren wie Beschaffung, Aufbau, Integration und Programmierung des Datenverarbeitungssystems und der messtechnischen Ausrüstung.

1982 – 1984

Bei VFW in Lemwerder wird die G-17 weitestgehend zerlegt und mit den beauftragten Änderungen wieder aufgebaut. Dies betrifft ganz besonders die Verkabelung der elektrischen Anlagen des Basisflugzeuges und der Versuchsausrüstung.

Im Cockpit wird der linke Platz für den Experimentalpiloten umgebaut, d.h. neue Bedienelemente und Anzeigen sind zu installieren.

Insgesamt sind elf von Liebherr speziell entwickelte elektrohydraulische Stellsysteme mit zugehörender Elektronik einzubauen.

Das Beispiel der Höhensteuerung zeigt das Prinzip: Der rechts sitzende Sicherheitspilot kann jederzeit die Steuerung übernehmen, während der Versuchspilot das Flugzeug über die Rechner steuert.

In der Kabine sind vier Arbeitsplätze für das Versuchspersonal eingebaut. Sie überwachen die Systemzustände, bedienen und ändern Rechnerprogramme und die messtechnischen Komponenten und bewerten die Versuchsbeobachtungen.

Bei der DFVLR entstehen unter Beteiligung weiterer Industriepartner die Bord-Rechnersysteme und eine Rechnerbodenausrüstung mit einem Flugsimulator. Hierfür wird von VFW die Struktur eines Cockpits nach Braunschweig geliefert.

13.02.1985

Zweiter Erstflug der G-17 nach etwa 4-jähriger Umrüstzeit.

Besatzung: Pilot Dietmar Sengespeik, Co-Pilot Hans-L. Meyer, Versuchsingenieur Bodo Knorr.

EDWD 09:30 – EDWD 13:00, ohne große Beanstandungen

Für alle am Projekt VFW 614 Beteiligten bedeutete die Entwicklungs- und Aufbauphase von ATTAS noch einmal eine große Herausforderung und für viele eine Erinnerung an die große Begeisterung in der Projektzeit der VFW 614.

Wie zu den Zeiten vor etwa 15 Jahren gab es wieder Sonderbriefe und Sonderstempel der Post.

Februar – Oktober 1985

Bei 39 Versuchs- und Nachweisflügen wurde in 63:25 Flugstunden die Leistung der Versuchssysteme und ganz besonders die Funktion der Sicherheitsabschaltungen erprobt und nachgewiesen. Auch die Ausbildung des technischen und fliegerischen Personals der DFVLR wurde abgeschlossen.

18.09.1985

Das Luftfahrtbundesamt erteilt die Zulassung.

24.10.1985

Übergabe der modifizierten G-17 and die DFVLR.

In Braunschweig trifft die G-17 wieder auf die G-13, welche bereits am 28.10.81 für Einbau-Anpassungen und als „Ersatzteilspender“ von Lemwerder nach hier geflogen war.

Ab 1986

Während der Arbeiten am Flugzeug zur Ergänzung und Ausrüstung des Fliegenden Simulators wird die G-17 auch für aerodynamische Messungen umgebaut.

 

Für Untersuchungen der laminaren Strömung wird ein Teil des Flügels mit einem „Handschuh“, einem geänderter Flügelabschnitt, ausgerüstet.

Ab 1988

Als Hauptanzeigen wurden auf der linken Seite im Cockpit für den Experimentalpiloten Displays wie im Airbus A310 eingebaut. Für die Steuerung konnte auch ein „Side-Stick“ eingesetzt werden.

Als Fliegender Simulator und Versuchsträger weist ATTAS eine Vielzahl von zum Teil einzigartigen Ausrüstungsmerkmalen auf.

Das Prinzip eines Fliegenden Simulators wird mit dieser Darstellung verdeutlicht.

Einige weitere Anwendungsbeispiele von ATTAS aus den 90er Jahren sind:

LARS

Ein Böenabminderungssystem, mit dem Beschleunigungen als Folge von Böen reduziert werden können; damit wird der Flug auch für die Passagiere angenehmer.

HERMES

Die Simulationen für das Projekt eines europäischen Raumgleiters war für die Beteiligten wegen der besonderen Eigenschaften und Flugbahnen ganz besonders interessant.

Natürlich kann ein fliegender Simulator nur in Flugbereichen operieren, die bezüglich Geschwindigkeiten, Höhen, Lastvielfachen usw. in den Zulassungsgrenzen des Basisflugzeuges (G-17) sind.

 

Modernen Fan-Triebwerke haben eine so große Oberfläche der Verkleidung, dass es sich lohnen würde, hier eine widerstandsärmere, laminare Umströmung anzustreben. Messungen dazu im Projekt „Laminargondel“.

 

27.06.2012

Offizielle Außerdienststellung des ATTAS im Flugbetriebshangar in Braunschweig. Damit endet im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ein historisches Kapitel deutscher Luftfahrtgeschichte: Das Forschungsflugzeug VFW-614 ATTAS (Advanced Technologies Testing Aircraft System) beendet nach fast 27 Jahren seine Dienstkarriere. Der letzte Versuchsflug fand am 11.November 2011 statt – Dauer 1:25 Std. Damit erreichte das Flugzeug bis dahin 3002:25 Stunden mit total 3426 Landungen.

07.12.2012

ATTAS startet in Braunschweig zum allerletzten Flug. Es ist der Ferryflug zum Deutschen Museum, Flugwerft Schleißheim bei München. Endgültige Betriebszeit nach diesem Flug: 3003:30 Flugstunden mit 3427 Landungen.

Über zwei Jahrzehnte lang war ATTAS der große, einzigartige Flugversuchsträger des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Wir vom Freundeskreis VFW 614 e.V. in Bremen haben mit großem Interesse und auch Wehmut den letzten Flug der VFW 614, S/N G17 – ATTAS  D-ADAM verfolgt. Damit ist auch für uns damalige Entwickler des Flugzeugs bei VFW-Fokker in Bremen eine Ära zu Ende gegangen. Ein Abschnitt des erfolgreichen Flugzeugbaus aus bremischer Produktion geht zu Ende.